Wie kriegt man ein Dinosaurier Ei kaputt?
1) Einleitung
Der Fußball ist wie ein Dinosaurier Ei. Und was zeichnet ein solches Ei aus? Es ist äußerst stabil, quasi nicht kaputt zu kriegen. Dennoch frage ich mich, warum man überhaupt versuchen sollte, es kaputt zu kriegen? Man könnte es doch stattdessen hegen und pflegen, so dass es wachsen kann, eines Tages ein wunderschöner Dinosaurier schlüpft?
Inwiefern in Zeiten des Fußballbooms überhaupt kritische Töne angeschlagen werden sollen, soll gerne in diesem Dokument erläutert werden. Es sind dabei die Medien, die Spielleiter, auch Schiedsrichter genannt, sowie die Spieler selber, aber natürlich auch die Zuschauer, die alle ihre Rolle dabei durchaus an dieser oder jener Stelle einmal kritisch überdenken könnten.
Ich persönlich war, bin und bleibe mein Leben lang jedenfalls Anhänger dieses Spieles. Ich habe es sowohl selber betrieben, als auch von frühester Kindheit an die Rolle des aktiven Zuschauers übernommen. Dabei war für mich schon immer ein jedes Spiel recht, um es anzuschauen. Fanatismus oder Anhängerschaft kenne ich fast überhaupt nicht. Ich schaue alles, was man nur schauen kann. Dabei sind mir Amateur- oder Jugendspiele genauso recht wie Championsleague- oder WM-Finales. Ebenso schaue ich mit Begeisterung exotische Ligen, wenn sich eine Gelegenheit bietet.
Darüber hinaus kann ich mit einigem Stolz, wie an anderer Stelle nachzulesen. sogar behaupten, dass Fußball mein Beruf ist. Ich lebe vom professionellen Wetten auf Fußballspiele. Insofern kann man vielleicht ein klein wenig Zutrauen in meine Beurteilung der Fußballspiele, nicht nur was die Chancenverteilung, sondern auch was das Spielverhalten, die Schiedsrichterrolle aber auch die eben von Medien und Zuschauern angeht, erwarten. Denn sie alle spielen bei der Gesamtbeurteilung eines Spieles eine Rolle.
2) Allgemeine Betrachtungen über den Fußball
Es gibt kein einfacheres Spiel als Fußball. Das macht ihn aus, das macht seinen weltweiten, nicht geringer werdenden, Verbreitungsgrad aus. Jedes Kind hat seinen Bewegungsdrang. Rumtollen und spielen, das ist das Kinderparadies. Wenn dann noch ein Ball ins Spiel kommt, wird die Freude noch größer. Also: ein Spielgerät, den Ball her und raus, gegentreten und hinterherrennen. Noch 4 Stöcke oder Jacken als Torpfosten und man spielt wie die Großen. Schöner und einfacher geht es eben nicht.
Wenn man es vergleicht mit Tennis, Eishockey, Volleyball oder Football, was auch immer, stellt man fest: bei den meisten anderen Sportarten benötigt man irgendeine Ausrüstung und eine geeignete Lage. Mal eine Halle, mal ein Stadion, mal ein Netz, mal einen Korb, mal einen Schläger. Zum Fußballspielen braucht man gerade mal einen Ball. Eine Wiese wird sich schon finden. Und los geht’s. Der Fußball lebt, er boomt förmlich. Warum man in Zeiten des Booms überhaupt kritische Töne anschlagen sollte? Lächerlich. Aber es gab auch vor mir schon Mahner, die auf anderen Gebieten negative Entwicklungen vorausgesagt haben und damit richtig lagen. Abgesehen davon: Wer weiß, wie groß der Boom noch sein könnte, wenn man ein paar Dinge ändert, verbessert? Vielleicht kann man die Fanschar vergrößern, und zwar in riesigen Ausmaßen? Aber wie gesagt: Der Fußball boomt und lebt auch so.
Insofern wird das Ei nicht kaputt zu kriegen sein. Für mein Verständnis wird es aber ziemlich schändlich behandelt. Es wird mit Füssen getreten, mit Hammer, Säge und Beil malträtiert. Noch ist es heil. Wer dabei zu welchen Mitteln greift, versuche ich im Folgenden zu erörtern. Natürlich tun es allesamt unbewusst. Meine Überlegungen könnten vielleicht hier und da dazu beitragen, dass es zunächst bewusst geschieht und dann in der Zukunft möglicherweise gar nicht mehr?!
Experte, Fußballfan, Stadiongänger oder Fernsehzuschauer, jeder hat seine Vorschläge zu machen, das ist mir schon klar. Die Medien geben uns wöchentlich vor, worüber in der Woche diskutiert wird, dann kommt der nächste Spieltag und das nächste Diskussionsthema. Die berühmten Stammtischdiskussionen: „Hast du gestern gesehen, die Schauspieleinlagen? Das wird immer schlimmer. Da müsste der DFB was machen.“ Die Woche danach: „Zehn, teilweise spielentscheidende Schiedsrichterfehler. So kann das doch nicht weitergehen. Da müssen sie was unternehmen.“ Noch eine Woche drauf. „Hast du gestern das Tor gesehen, was nicht gegeben wurde? Dabei war der Ball einen halben Meter hinter der Linie. Der Chip oder die Torkamera müssen her.“ Jeder hat eine Meinung, jeder tut sie kund, jeder hält sie für exklusiv und objektiv angeeignet. Dass aber nur die Medienvorgaben wiedergekäut werden, registrieren die meisten bedauerlicherweise dabei nicht.
In der Summe sind es allein in Deutschland ca. 40 Millionen Menschen, selbstverständlich alle mit der (selbst diagnostizierten) Eignung zum Bundestrainer. Das gilt natürlich auch für mich und meine Ansichten. Der einzige Unterschied zu den anderen: Meine stimmen wirklich, ist doch klar. Jetzt müsste ich nur noch zum FIFA- Präsidenten gewählt werden und schon in einem Jahr sind die Stadien weltweit gefüllt, die Umsätze verdoppeln sich, ach was red ich, verzehnfachen sich und eine neue Welle der Begeisterung schwappt über die gesamte Welt, nicht aufzuhalten, ein neues Zeitalter bricht an und wir gründen die intergalaktische Liga. Was, Sie glauben mir nicht? Na, dann lesen Sie mal...
3) Faszination Fußball?
Was fasziniert die Menschen wirklich am Fußball? Ja, Fußball ist Emotion, Leidenschaft, Spannung, Sport, Spiel. Und es ist ein einfacher Sport. Alles richtig. Aber die Tore sind das Salz in der Suppe. Und davon gibt es (zu) wenig. Ich stelle mir folgende Szene vor: Sie versuchen, einem Ami das Spiel schmackhaft zu machen. Sie gehen mit ihm ins Stadion, als echter Enthusiast. „Fußball kennst du nicht? Das musst du gesehen haben.“ Also gut, er geht einigermaßen interessiert mit ins Stadion. Nach 20 Minuten fragt er: „Sag mal, wozu stehen denn die beiden Kästen da am Ende vom Spielfeld?“ „Du hast ja gar keine Ahnung, Mensch, da muss der Ball rein, das sind die Tore!“ „Ja, aber da müsste ja wenigstens mal jemand den Ball in die Richtung schießen, damit es ein Tor werden kann. Wann passiert denn endlich mal was?“ Logisch, es steht ja 0:0 (laut meiner Datenbank ist es übrigens tatsächlich in 64 % der Spiele so, nach 25 Minuten).
Sie sagen immer „Gleich, schau doch hin“. Er droht Ihnen allmählich wegzunicken. Endlich, der Mann springt auf: Ein Spieler geht alleine aufs Tor zu. Er fängt schon beinahe an zu schreien, jubeln. Sie zupfen ihn auf seinen Stuhl zurück. „Hey, setz dich mal wieder. Das ist ja peinlich. Der war doch Abseits, der Mann.“
60. Minute. Immer noch 0:0. Er will endlich nach Hause. Sie sagen „Nein, jetzt wird’s ja erst richtig spannend, mal sehen ob doch noch ein Tor fällt“. Dann, tatsächlich, die 65. Minute, 1:0, auch noch für Ihre Mannschaft. Jetzt dürfen Sie jubeln. Er springt auch mit auf und sagt: „Wow, jetzt passiert aber doch endlich mal was.“ Sie müssen ihn bremsen: „Setz dich wieder. Nur noch 25 Minuten, das Ding haben wir im Sack“. Er „Wie, jetzt passiert nix mehr?“. „Nee, unsere stellen sich jetzt hinten rein, zwei, drei taktische Auswechslungen, ein bisschen Zeitspiel. Das Ding bringen sie locker über die Zeit, da brennt nix mehr an“. Recht haben Sie, das Spiel endet 1:0.
Das war sein erster und letzter Stadionbesuch. Es steht immer 0:0, wenn’s spannend wird ists Abseits und wenn tatsächlich doch ein Tor fällt, ists entschieden? Nee, danke.
4) Steigerung der Attraktivität durch mehr Tore:
Dann werfe ich jetzt die entscheidende Frage auf: Wäre der Fußball nicht schöner, interessanter, faszinierender, wenn es mehr Tore gäbe? Ich denke mal, die meisten würden diese Frage mit „Ja“ beantworten. Tore sind einfach das Salz in der Suppe. Ein schöner Trick, eine gelungene Flanke, ein Dribbling, eine tolle Torwartparade ist alles schön, man kann klatschen und begeistert sein. Auch eine Druckphase, eine Ecke, ein Foulspiel gefolgt vom Pfeifkonzert, eine (fragwürdige) Abseitsentscheidung, ein gelungenes Tackling, alles gehört zum Fußball dazu. Aber die Explosion, der absolute Höhepunkt, das Ein und Alles, das Nonplusultra, das ist, wenn der Ball einschlägt im Tor. Das reißt die Massen von den Sitzen.
Es gibt sicher ein paar Leute, die trauern, die Anhänger der Mannschaft, die das Tor kassieren. Aber die zählen ja kaum, die trauern halt stumm vor sich hin. Und die neutralen sind ja ohnehin dank des Fernsehens fast immer klar in der Überzahl. Und die wollen das Tor auch sehen.
Also das ist mein erstes Anliegen. Es gibt ja seit Jahren Diskussionen darüber, so dass ich in dieser Hinsicht garantiert nicht der einzige bin.
Aber mein Vorschlag zum Erreichen dieses Zieles ist der einfachste. Er ist so einfach, wie er nur sein kann. Ich möchte weder die Tore vergrößern noch das Abseits abschaffen. Ich möchte keine einzige Regel ändern! Mein Vorschlag lautet: Anwendung der bestehenden Regeln!
Na, die werden doch angewandt, sagen Sie? Dazu muss ich also offensichtlich ein paar Beispiele bringen, um zu beweisen, dass es tatsächlich nicht so ist bzw. das es eine Tendenz zur Auslegung der Regeln gibt. Diese Tendenz ist eindeutig gegen die angreifende Mannschaft.
Ich fange mal mit einer relativ einfachen und anschaulichen Situation an: Ein Foulspiel. Was entscheidet der Schiedsrichter? Ein jeder, sei er nun Schiedsrichter oder neutraler Zuschauer, wird sagen: Freistoss, was denn sonst? Dann sage ich, na gut, mag sein (zu Zweifeln diesbezüglich später mehr), aber was ist mit Foulspiel im Strafraum? Naja, der regelkundige wird selbstverständlich antworten: Foulspiel im Strafraum ist Elfmeter. Dann widerspreche ich doch einigermassen heftig. Es gibt nicht nur den Begriff „elfmeterreifes Foul“ sondern es gibt auch diese Tatsache. Ein Foul im Strafraum wird so kommentiert: „Dafür kann man keinen Elfmeter geben“ oder „das reicht nicht für einen Elfmeter“ oder „ja, es gab Körperkontakt, er hat ihn berührt, aber Elfmeter? Ich weiss nicht“ Und alle sind sich einig. Aber warum ist es so? Was ist eigentlich die Aussage?
Die eigentlich Aussage ist die, hier meine Interpretation, zu Erklärungen auch später mehr: Es war zwar ein Vergehen, aber die Schwere des Vergehens genügt nicht, um dafür einen Elfmeter zu rechtfertigen. Bitte schön, dann erkläre ich mich einverstanden. Wenn es so gewollt ist, dann soll es auch so entschieden werden. Nur würde ich dann auf eines bestehen: Schreibt es in die Regeln! Ein Foul zieht einen Freistoss nach sich. Im Strafraum gelten aber andere Gesetze. Da ist die Beurteilung des Foulspiels verändert. Elfmeter gibt es eben nur für ganz klare und eindeutige Fouls. Da würde ich natürlich trotzdem einhaken und nach dem Sinn fragen. Ich wollte zwar keine Regeln ändern, schlage hier aber trotzdem die sich aufdrängende, logische Regeländerung vor: Es gibt eine alternative Bestrafung für Foulspiele im Strafraum. Die Strafe Elfmeter ist ja nicht in Stein gemeißelt, oder etwa doch?
Außerdem würde ich mal den Ansatz zu Ende denken: Was würde eigentlich passieren, wenn jedes Foulspiel im Strafraum mit Elfmeter geahndet würde? Berti Vogts sagte mal (der Erste, den ich zu diesem Thema gehört habe): „Wenn man für so ein Foul Elfmeter geben würde, würde es im Spiel 20 Elfmeter geben „ . Jetzt ist es wieder an mir, zu widersprechen. Die Fussballer sind wie Kinder, allerdings Kindergartenkinder. Die tun, was man ihnen erlaubt. Wenn man es nicht schafft, einwandfreie, verständliche Regeln aufzustellen, dann tanzen sie im übertragenen Sinne auf dem Tisch. Sprich: Wenn ein Verteidiger merkt, dass es für einfaches Trikotzupfen im Strafraum keinen Elfmeter gibt, dann tut er es, wieder und wieder. Wenn er im Kopfballduell ebenfalls den Gegner behindern darf, ohne die Absicht, den Ball selber zu erreichen, dann tut er es auch. Stellt er allerdings fest, dass diese Vergehen mit Elfmeter bestraft werden, dann unterlässt er es. Was wäre die tragische Folge? Die Stürmer hätten plötzlich mehr Freiheiten. Sie wären in der Lage, ein Dribbling auch erfolgreich abzuschließen, ein Kopfballduell zu gewinnen und den Ball aufs Tor zu bekommen. Weitere Folge: Mehr Torsituationen, mehr Tore. Würden Sie dann gleich weglaufen?
Jetzt rede ich mal über eine weitere, ähnliche Situation: Das Handspiel im Strafraum. Ich als Kind im Jugendfußball habe noch gelernt: Arme an den Körper, vor allem im Strafraum. Denn: Sonst gibt es Elfmeter. Also habe wir versucht, den Ball NICHT an die Hand oder den Arm zu bekommen. Im Laufe der Jahre hat sich dieses Verhalten allmählich geändert. Heutzutage sieht es so aus: Die Verteidiger halten ihre Arme, wo sie wollen, möglichst aber nicht am Körper. Und wenn sie den Ball dann gegen die Hand oder den Arm bekommen, dann heißt es, „das war keine unnatürliche Handbewegung“ oder „aus der Entfernung bekommt er den Arm gar nicht mehr weg, da kann man keinen Elfmeter geben“ Das ist so ein unglaublicher Blödsinn. Wenn es keine Strafe dafür gibt, dann hält man die Arme einfach wie ein Handballtorwart. Wenn der Gegner dagegen schießt, ist er doch selber schuld, jedenfalls nicht ich. Mir soll nur keiner erzählen, dass die Spieler nicht wissen, was sie tun.
Jetzt komme ich noch auf ein wirklich leidiges Thema zu sprechen, dass jeden Fußballfan tagtäglich aufregt: Das Abseits. Meine Beobachtungen dazu:
Die Amis hatten zur WM 1994 den richtigen Ansatz: Sie wollten das Spiel in Amerika populär machen. Um es populär zu machen, müssen sie es attraktiv machen. Um es attraktiv zu machen, müssen Tore her. Von allen Vorschlägen (die übrigens in Amerika spielend leicht einfach umgesetzt würden), wurden nur zwei eingeführt: Die Rückpassregel und die Regel „im Zweifel für den Angreifer“ bei Abseitsentscheidungen. Denn die Erkenntnis war ganz einfach: Die Fahne geht immer hoch, oft zu Unrecht. Wenn man also nicht sicher ist, lässt man sie unten. Denn die Torsituation will man ja sehen. Hier sind fast alle Zuschauer neutral. Ein Spieler alleine vor dem Tor. Das ist spannend. Ein Abseitspfiff ist der so genannte Anti-Climax. Wie bei Hitchcock, wenn man schon wieder ein Geräusch hört, schon wieder einen Riesenschreck bekommt, und dann die Kamera umschwenkt und man sich den Schweiß abwischt: „Puh, ein Glück, war nur ne Katze“. Aber beim Fußball ist es ein permanenter Anti-climax. Bei der WM 2006 wurden mal zufällig ausgewählte Zuschauer gefragt, ob sie wüssten, was Abseits wäre und eine Frau antwortete, übrigens absolut korrekt „Abseits ist immer, wenn einer frei steht“. Und so wird es heutzutage entschieden.
Ich habe sogar mal mit einem Schiedsrichter gesprochen, was er glaubt, wie viel Prozent der AbseitsFEHLentscheidungen zu Ungunsten der angreifenden Mannschaft ausfallen. Er gab zwar eine gute Antwort aber nicht ganz die korrekte. Er sagte 80% sind zu Ungunsten der angreifenden Mannschaft. Er irrt sich nur insofern, als es tatsächlich über 90% sind, aber trotzdem darf doch die Frage erlaubt sein, warum sind es mehr als 50%, die ja statistisch gesehen herauskommen müssten, wenn man nur rein zufällig Fehler begehen würde? Seine Antwort war für mich überaus interessant und ich fürchte, dass ein derartiger Unsinn tatsächlich in der Schiriausbildung verbreitet wird. Er sagt, das liege daran, dass der Assistent das Abseits HÖRT und nicht SIEHT. Also er schaut immer auf die Angreifer/Verteidigerlinie, der Ball wird abgespielt, das Abspiel verursacht ein Geräusch, der Schall braucht zwischen 0,1 und 0,3 Sekunden, um an sein Ohr zu dringen (das Abspiel geschieht im Schnitt in 20-60 Metern Entfernung vom Assistenten und dafür braucht der Schall so lange) und innerhalb dieser Zeitspanne steht der Spieler tatsächlich im Abseits: Licht schneller als Schall.
In Meter umgerechnet: Ein schneller Spieler läuft die 100 Meter in 11 Sekunden. Also 9 Meter in einer Sekunde, 90 Zentimeter pro Zehntelsekunde. Dazu die Gegenbewegung der Abwehrspieler, die gleichzeitig herauslaufen, die sind aber langsamer, also sagen wir 60 Zentimeter, macht zusammen 1,50 Meter, und das ist noch der pessimistische Fall, dass das Abspiel in der Nähe des Linienrichters erfolgte. Wenn der Assistent sich also regelmäßig um 1,50m vertut, dann wären die Fehlentscheidungen eine logische Folge, und zwar die gegen die Angreifer. Denn die Angreifer bewegen sich ja tatsächlich immer im kritischen Bereich. Sie wollen ja gerne den kleine Vorsprung haben, starten also oft vorzeitig, aber dennoch nicht zu früh! Diese Erklärung klingt zwar in gewisser Weise einleuchtend, wäre aber deswegen nicht weniger verheerend.
Wenn es sich tatsächlich so verhielte und den Schiedsrichterausbildern dieses bewusst wäre, dann würde ich natürlich vorrangig die Aufgabe darin sehen, das in der Ausbildung zu vermitteln, dass man also bei der Frage abseits oder nicht seine Entscheidung um diese ca. 1.50m korrigieren müsste. Denn Ungerechtigkeiten sind ja hoffentlich unerwünscht, darf ich annehmen?
Dennoch habe ich im Laufe der Jahre eine andere Beobachtung gemacht, die eine wesentlich einsichtigere Erklärung liefert. Dazu muss man sich allerdings nach Möglichkeit von ein paar Vorurteilen frei machen. Wenn Sie dann so weit wären?Ich behaupte also, dass die Erklärung im psychologischen Bereich zu suchen ist. Der Assistent schaut, wie jeder andere auch, selbstverständlich auf den Ball, der wird nach vorne gespielt, der Mann schaut hinterher, der Ball kommt an und er sieht einen Angreifer alleine auf den Torwart zulaufen. Dann denkt er, wie jeder andere auch, „Ui, ist der frei“. Dann geschehen ein paar Dinge im Gehirn und in den Gliedmaßen, die man eigentlich auch dem Oberbegriff „Intuition“ zuschreiben könnte und die in der Summe ein Ergebnis liefern: Er reißt die Fahne hoch. Die Intuition ist wirklich ein sehr treuer und im Prinzip auch zuverlässiger Ratgeber. Ich nutze auch meine Intuition tagtäglich. Man nutzt sie ohnehin allgegenwärtig in Situationen, wo die Zeit zum Nachdenken zu knapp ist. Und das ist eine typische solche Situation. Nun darf ich aber an die ursprüngliche Frage erinnern: Wie viel Prozent der AbseitsFEHLentscheidungen fallen zu Ungunsten der Angreifer aus? Ich hoffe, dass das nicht bestritten wird (bitte, ich bin begierig danach, zu erfahren, was die berühmte Sat1 Datenbank enthüllt). Und ich hoffe, es ist auch unbestritten, dass eine solche Entscheidung intuitiv, da innerhalb von Zehntelsekunden, getroffen werden muss. Also wäre jetzt die Frage zu klären, warum die Entscheidung zu weit mehr als 50% in eine bestimmte Richtung ausfallen.
5) Einführung in die Psychologie
Prinzipiell gibt es eine Tendenz zugunsten von einfachen Entscheidungen. Ein Jeder sucht sich Entscheidungshilfen, in allen Lebenslagen. Man möchte nicht in jeder Situation sämtliche Erwägungen erörtern (müssen) bevor man handlungsfähig ist. Also hat man in meist eine grobe Orientierung. Und der Satz „man wählt den Weg des geringsten Widerstandes“ ist auch mehr als nur eine Floskel, es ist beinahe für die meisten Menschen eine Lebensregel.
Auf die Schiedsrichterassistenten bezogen bedeutet das: Man entscheidet in erster Linie so, dass einem dafür nicht der Kopf abgerissen wird. Und ich kann Ihnen etliche Beispiele liefern, wo Schiedsrichtern oder -Assistenten im übertragenen Sinne der Kopf abgerissen wurde. Das geschieht immer dann, wenn eine Fehlentscheidung zu einem Tor führt. Denn das ist ein so offensichtlicher Fehler, und dieser hat das Spiel entschieden. Das Spiel endete 1:0 (wie meistens) und das Tor hätte nicht zählen dürfen. Wer ist schuld? Der/Die Schiedsrichter.
Mir ist schon klar, dass das nicht ohne Weiters glaubwürdig ist. Aber ich hatte ja geraten: Vorurteile über Bord bitte! Ich schildere Ihnen nämlich jetzt ein weiteres Beispiel, wie eine andere Art von Fehlentscheidung beurteilt wird. Und das geht so:
Ein Spiel endet 0:0. Einer der beiden Trainer merkt nach dem Spiel an, dass seiner Mannschaft ein klares Abseitstor nicht anerkannt wurde und das es mindestens eine weitere Situation im Strafraum zu einem Elfmeter hätte führen müssen, es gab zumindest ein klares Handspiel. Das Fernsehteam arbeitet gut, die entsprechenden Bilder zu den Spielsituationen werden eingeblendet. Sie bestätigen die Aussagen des Trainers. Wissen Sie aber, was die nächste Reporterfrage ist? „Hätten Sie nicht dennoch einfach mehr tun müssen, um die drei Punkte einzufahren?“
Der Schiedsrichter wird nicht weiter erwähnt, vor allem kommt er in keine Erklärungsnot. „Das waren Tatsachenentscheidungen.“ „Er hätte zwar Elfer geben müssen, aber er hat die Situation wohl anders beurteilt.“ „Die Abseitssituation war wirklich schwer zu sehen. Da kann schon mal ein Fehler passieren.“ Die Schiedsrichter werden in Schutz genommen, der Trainer ist der Dumme. Er will von den Fehlleistungen seiner Mannschaft ablenken, verschafft sich und seinen Spielern ein Alibi und so weiter.
Also der erst Teil der Psychologie gibt einem Entlastung, falls man sich vertut. Und zwar dann, wenn man gegen das Tor entscheidet. Wenn man hingegen sich für das Laufen lassen, für den Elfmeter entscheidet, dann riskiert man wirklich etwas. Dann könnte man daneben liegen, mit schlimmen Folgen. Aber es gibt noch eine weitere Erklärung. Diese folgt hier:
6) Psychologie Teil 2
Fußball ist ein Spiel mit wenigen Toren. Meine Datenbank enthüllt, dass in den von mir erfassten Ligen in den letzten 10 Jahren der Schnitt bei 2.5 Toren pro Spiel lag. Das hat eine ganz offensichtliche Folge: Jedes Tor hat einen gigantischen Wert, was die Chancenverteilung für das ganze Spiel angeht. In etwa sieht das so aus: Wenn man vor dem Spiel vielleicht 50% auf Sieg hat, dann hat man nach einem Tor in der ersten Halbzeit ca. 80% auf Sieg. Wenn man dagegen ein Tor kassiert in der ersten Halbzeit, verschlechtern sich die Chancen sofort auf 20% oder weniger. Wann wird schon mal ein Spiel gedreht?
Der Einfluss eines Tores auf den Ausgang des Spieles ist also sehr erheblich. Das heißt, man scheut wenig davor, eine Entscheidung zu treffen, die zugleich das Spiel quasi (häufig genug endgültig) entscheiden kann. Und es gibt ja nicht nur Tore in der ersten Halbzeit (da sogar erkennbar weniger). Man denke mal an die letzte Spielminute. Das Spiel steht Unentschieden, 0:0. Beide Mannschaften haben sich einen erbitterten, dennoch fairen Kampf geliefert. Aber plötzlich läuft ein Spieler allein auf das Tor zu. „Hilfe, halt, stehen geblieben“ denkt der Assistent in dem Moment. Doch jetzt kein Tor mehr, das wäre die sofortige Entscheidung. Also die Entscheidung, man beachte das Wortspiel, ist eine Unentscheidung. Man entscheidet sich für das Unentschieden. Zur Sicherheit. Geschweige denn, man würde jetzt daneben liegen und den Mann zu Unrecht laufen lassen. Gott bewahre! Also: Fahne hoch, dann bist du aus allem raus. Sollen sie ruhig hinterher sagen: „War doch kein Abseits.“
Natürlich gilt das genauso für die Elfmeterentscheidungen. Sie müssten mal die Kehrseite der Medaille, wie die Schiedsrichter ihr Gewissen beruhigen, sehen: Beim Stande von 4:0, da machen sie alles wieder gut. Da kann ein kleiner Schubser im Strafraum ausreichen für den Elfer. Da wird der Stürmer schon mal laufen gelassen, jetzt kann ja nix mehr passieren, und diskutiert wird’s garantiert auch nicht, wenn ich mich vertan haben sollte.
Das gleiche gilt natürlich auch für Platzverweise. Man möchte es einfach nicht. Man würde das Spiel ja auch quasi entscheiden. Also entscheidet man sich auch lieber gegen den Platzverweis.
7) Die (Un-)Gerechtigkeit
Könnte jemand etwas einwenden, wenn man sagt, dass man eine Form von Gerechtigkeit anstrebt? Ich habe auch etliche Spiele der NBA, der amerikanische Basketballliga verfolgt. Und habe dabei eine Feststellung gemacht: Da wird praktisch nie eine Schiedsrichterentscheidung kritisiert. Man weiß zwar manchmal, dass eine Entscheidung falsch war, auch als Spieler. Aber man akzeptiert sie, weil man weiß, dass es kein System dahinter gibt, keine erkennbare Tendenz. Es ist eben nur ein Fehler.
Wenn ich vom Fußball mal ein paar Beispiele bringen darf, Standardszenen, die in jedem Spiel vorkommen: Ein Stürmer luchst einem Verteidiger den Ball ab. Der Verteidiger merkt, dass er einen Fehler gemacht hat, aber der Ball ist weg. Dann fällt er einfach hin, das machen alle Verteidiger. Und was macht der Schiedsrichter? Er pfeift nicht etwa in 99 von 100 Fällen Freistoß für den Verteidiger. Nein, er pfeift in 100 Fällen für den Verteidiger. Es ist gar nichts passiert, kaum eine Berührung. Aber es gibt einen Freistoß. Auf der anderen Seite des Spielfelds. Ein Stürmer dringt in den Strafraum ein, er wird auch klar behindert. Jetzt hat er zwei Möglichkeiten, Situations bedingt: Versuchen, weiter zu laufen, zu spielen, oder den Ball verloren geben. Aber eines darf er unter gar keinen Umständen tun, und das ist Hinfallen. Denn, bei der heutigen, lächerlichen Form der Regelauslegung, würde einem der Sprecher garantiert erklären: „Der Schiri gibt zu Recht keinen Elfmeter. Aber wenn er keinen Elfer gibt, muss er zwingend eine gelbe Karte zeigen.“ Man bekommt also garantiert keinen Elfmeter. Wenn man sich ausgesprochen geschickt verhält, und das schaffen nur die Spieler, die sich nach einem Rempler auf den Beinen halten können, kann es einem gelingen, keine Gelbe Karte zu bekommen.
Wenn Sie jetzt diese zwei Szenen gegeneinander halten, merkt man wohl die Ungerechtigkeit: Der eine Mann fällt immer, auch, wenn es kein Foul weit und breit gab. Der andere Mann bekommt, wenn er fällt, Gelb, selbst wenn er tatsächlich gefoult wurde. Das ist eine so Himmel schreiende Ungerechtigkeit.
Ich sehe auch immer wieder die Angreifer, die nach einer solchen Balleroberung und dem erfolgten Schiedsrichterpfiff die Hände vors Gesicht schlagen und verzweifelt den Kopf schütteln, weil sie diese Ungerechtigkeit natürlich auch verspüren, aber dagegen machtlos sind. Auf der anderen Seite des Spielfelds, bei der alternativ beschriebenen Szene, sieht man den Verteidiger immer nach dem tatsächlichen Vergehen die Arme zur Unschuldsbeteuerung hochreißen, er habe nichts gemacht. Als der Schiedsrichter dann tatsächlich dem Stürmer die Gelbe Karte zeigt, klatscht der Verteidiger Beifall, alles richtig gesehen, Schiri.
Nun müssten ja diese beiden unterschiedlichen Reaktionen der partizipierenden Personen gedeutet werden: Handelt es sich jeweils um glänzende Schauspieler, der eine, der eine üble Straftat begeht und dann Kopfschüttelnd, mit vors Gesicht geschlagenen Händen, wegläuft (nur nicht beschweren, dann bekommt auch er Gelb), der andere, der tatsächlich unschuldig ist, dies aber nur dadurch zu erkenne geben kann, dass er zur Beteuerung die Arme hochreißt?
Die Spieler wissen genau, was Foulspiel ist. Das sind intuitive Reaktionen, die Ausdruck für die erfahrenen (Un-)gerechtigkeiten sind. Der eine hat nicht gefoult, das ist Fakt. Und er reagiert intuitiv so, dass er den Kopf schüttelt. Das ist nie und nimmer Schauspielerei. Wenn er etwas, auch nur die kleinste Kleinigkeit getan hätte, könnte er gar nicht so reagieren. Der andere ist tatsächlich Täter, reißt aber, ebenfalls intuitiv, die Arme hoch, um sofort zu suggerieren, dass es doch nichts gewesen wäre. Das ist ebenfalls unmöglich Schauspielerei.
8) Beweisführung
Zum Beweis, dass meine Beobachtungen insgesamt stimmen, habe ich folgenden Vorschlag zu machen: Eine Anzahl von Schiedsrichtern, sagen wir 10, stellen sich zur Verfügung, mit mir ein paar Entscheidungen zu untersuchen. Sie dürfen auch ganz frei einen Spieltag der Bundesliga auswählen, ich hingegen wähle die Szenen aus. Eine kleine Erschwernis, um ihr Urteilsvermögen auf Herz und Nieren zu prüfen, muss ich allerdings einbauen: Sämtliche Tore und Linien werden vorher wegretouchiert. Man sieht also die Aktion vollständig, weiß allerdings nicht, wo die Aktion stattgefunden hat. Dann möchte ich mal die Beurteilung hören, was ein Foulspiel war und was keines. Ich sage, dass die Herren dann günstigstenfalls ein 50/50 Verhältnis bekommen, was die Richtigkeit der Entscheidungen angeht. Also in etwa so: Die Herren dürfen sich abstimmen, ob ein Foulspiel vorlag oder nicht und wir vergleichen ihr Urteil mit der Entscheidung im Spiel. Noch besser wäre es, wenn jeder der Herren seine Entscheidung unabhängig von der der anderen treffen müsste. Dann tippe ich auch auf 50/50. Und 50/50 schaffe ich auch mit Würfeln, da brauchen wir keine Schiedsrichter.
Bitte, alle Schiedsrichter, die bereit sind zu dem Experiment, bei mir melden. Seien Sie mutig, Ihre Entscheidungen sind doch unantastbar, oder?
9) Ursachenforschung
Ich unterstelle keinem Schiedsrichter Böswilligkeit. Sie versuchen, so gut wie möglich zu entscheiden, auch neutral. Um meine Beobachtung anschaulich zu machen, erinnere ich an Herrn Merk, der vor kurzem ein Tor für Werder Bremen anerkannte (im Spiel gegen Borussia Dortmund), welches im Nachhinein allgemein als irregulär angesehen wurde. Das wäre nicht so schlimm, wenn er nicht hinterher von seinem „schlimmsten Fehler der letzten 10 Jahre“ gesprochen hätte. Was drückt das aus? Ein nicht gegebenes Tor, was aber die Anerkennung verdient hätte, ist kein schlimmer Fehler. Ein Tor, was zu Unrecht gegeben wird, ist ein katastrophaler, unverzeihlicher Fehler. Die Folge ist: Immer sicherheitshalber aberkennen. Im Zweifel ist es eben Abseits. Im Zweifel war es kein Foulspiel, kein Handspiel, eben kein Elfmeter. Eine weitere Ursache ist die: Ein Tor bringt eine gigantische Verschiebung der Chancenverteilung, was den Spielausgang angeht. Sprich: „Wenn ich das Tor anerkenne, steht ja der Sieger quasi fest, also lieber nicht“. Ein Nicht Tor ändert ja nichts an der Chancenverteilung, ein Tor schon. Die Ursache ist also im psychologischen Bereich zu suchen. Das klingt unglaublich und ich höre quasi den Aufschrei, der jetzt erfolgt, vor allem von den Spielleitern selbst.
Jeder Mensch handelt nach dem Prinzip, den Weg des geringsten Widerstands zu wählen. Das gilt natürlich nur bei Routinetätigkeiten, Dingen, die wir jeden Tag tun. Und der geringste Widerstand für einen Schiedsrichter ergibt sich, wenn er Torsituationen unterbindet. Man hat regelrecht Angst vor der Torsituation, weil man jetzt gefordert ist und einen schweren Fehler machen kann. Also wird das Spiel häufig lieber schon vorher unterbrochen.
Man müsste ja auch mal den Begriff „mutige Entscheidung“ analysieren. Was ist also eine „mutige Entscheidung“? Normalerweise müssten die Entscheidungen doch nur in „richtig“ oder „falsch“ unterteilt werden. Mutig ist es zum Beispiel, bei einem wichtigen Spiel in der ersten Minute einen Elfmeter zu geben. Und das ist tatsächlich die Wahrheit. Beweisen kann ich es mal wieder anhand einer Szene im Championsleague Halbfinale Barcelona - Chelsea vor kurzem. Da hat ein Spieler der Heimmannschaft ein wirklich klar erkennbares Handspiel im Strafraum begangen, nach 7 Minuten. Der Schiedsrichter hat auch wirklich Elfmeter gegeben. Aber bei der Entscheidung zuckte er Richtung Barca Spieler mit den Schultern. Das heißt eben folgendes: „Alles wäre mir recht gewesen, um keinen Elfmeter geben zu müssen. Aber hier war es leider so klar und eindeutig, dass mir nichts anderes übrig blieb“.
10) Die Umsetzung
Wenn man es schafft, die Schiedsrichter/Assistenten dazu zu bewegen, dass sie Angst vor der Fehlentscheidung haben, die GEGEN ein Tor, GEGEN den Angreifer erfolgt, wäre mein persönliches Ziel erreicht.
Herr Merk müsste sagen: Oh, da haben wir einen Stürmer, der alleine aufs Tor zulief, zu Unrecht zurückgepfiffen, DAS war der schlimmste Fehler der letzen 10 Jahre.
Objektiv ist es natürlich auch wahr, dass ein nicht gegebenes Tor die Chancen genauso beeinflusst (falls es korrekt war, „klaut“ man einer Mannschaft den Zugewinn an Prozenten in der gleichen Grösse wie man ihn der anderen schenkt). Tatsache ist auch, dass es bei einer grösseren Anzahl von Toren ja zwangsläufig die Wichtigkeit eines einzelnen Tores abschwächt. Also: Eine Entscheidung für ein Tor entscheidet eben viel seltener ein Spiel.
Die schwierigsten Entscheidungen sind natürlich dann zu fällen, wenn ein Spiel Unentschieden steht. Also bei 4:0 gibt man gerne mal einen Elfmeter oder eine Rote Karte, die Entscheidung verändert ja nichts mehr. Aber bei 0:0 oder 1:1? Die Sprecher sagen ja dann auch gerne mal: „Wer hier das nächste Tor schiesst, gewinnt auch“ und Recht haben sie auch noch. Also bei Unentschieden in einem wichtigen Spiel eine grosse Entscheidung richtig zu fällen? Dann lieber kein Tor. Ich nenne das auch gerne die „Unentscheidung“. Der Schiri entscheidet auf Unentschieden, er „unentscheidet“ das Spiel.
Die Hauptaufgabe kommt dabei den Medien zu, also das Umdenken muss hier zuerst erfolgen. Sie müssten eben die (Fehl-)Entscheidung gegen ein Tor herausstellen, die als „spielentscheidenden Fehler“ darstellen. Wenn ein Trainer heutzutage zum Beispiel nach einem Spiel sagt: „Uns wurde ein klares Tor aberkannt“ dann wird er ausgelachter sucht die Schuld bei den Schiedsrichtern, anstatt die Schwächen im Team zu erkennen und zu verbessern.
Wenn ich heute den kicker aufschlage, dann lese ich garantiert bei 10 Spielberichten eine der folgenden Meldungen: „Allerdings wurde ihnen auch ein klares Tor aberkannt“ oder: „sie hatten allerdings Glück, als der Schiedsrichter einen klaren Elfmeter nicht gab“ oder einfach nur : „Der Schiri hätte in zwei Situationen auf Elfmeter entscheiden können“. Nur scheint das eben kein Aufsehen zu erregen. Das sind Randnotizen.
Christoph Daum sagte vor Kurzem mal einen guten Satz: „Die Spielleiter werden immer mehr zu Spielentscheidern“. Er hat Recht, das ist schon mal klar. Aber er hätte es nicht sagen dürfen, denn er sagte es ja, nachdem seiner Mannschaft das absolut korrekte Ausgleichstor aberkannt wurde. Dann wird er eher von den Medien zerrissen für die dumme Aussage.
In England gab es übrigens auch mal eine interessante Situation am Saisonanfang. Bei dem Spiel Liverpool - Chelsea gab der Schiri einen Elfmeter, der unberechtigt war, zugunsten von Chelsea. Das war der Ausgleich zum 1:1, Endergebnis 1:1. Schiri wurde für 2 Monate gesperrt. Was glauben Sie, was ab der nächsten Woche die Schiris auf den Plätzen tun? Alles kann ich machen, aber bloss ja keinen unberechtigten Elfmeter geben. Aber in einer anderes Situation, bei einem Spiel ManU-Tottenham hat Tottenham ein Tor erzielt, wo der Ball ohne Übertreibung einen ganzen Meter hinter der Torlinie war. Jeder Zuschauer bis 2,6 Promille im Oberring konnte sehen, dass der Ball drin war. Aber weder Schiri noch Assistent haben es „gesehen“? Wer mag das glauben? Sie WOLLEN das Tor nicht geben, sie WOLLEN ein Haar in der Suppe finden. Jedes Mittel ist recht, um ein Tor abzuerkennen. Wenn ich nicht ganz 100%ig sicher bin, dass alles regelrecht war und ich irgendeine Möglichkeit sehe, ein Tor abzuerkennen, dann tue ich es. Bei der WM 2006 gab es ein Spiel Kroatien - Japan. Schauen Sie sich das Spiel noch mal an. Kroatien hatte eine einfache Taktik, das Spiel zu gewinnen: Hohe Bälle in den Strafraum, Kopfball, Tor. Denn die Angreifer (erst recht die Verteidiger, die bei Standards vorne waren), waren im Schnitt 12-15cm grösser. Nur: Bei 22 Flanken, die in den Strafraum kamen, kam 21 Mal ein Kroate an den Kopfball, weil er höher sprang als der Gegenspieler. Aber 20 Mal hat der Schiri, wohl wegen „Chancenungleichheit“, abgepfiffen. Es war Kroatien auf diese Art einfach nicht möglich, ein Tor zu erzielen. Es sah vielleicht für den Schiri so aus, als ob sich die Kroaten aufgestützt hätten? Also noch mal: Der Schiri hatte keine böse Absicht. Und, wie man weiß, wurden ihm die Entscheidungen auch niemals nachgetragen. Obwohl sie zu einem sehr hohen Prozentsatz falsch waren. Es ist eben kein Problem, gegen die Angreifer zu entscheiden. Da kann einem nichts passieren.
11) Die Rolle der Medien
Während bei der Regelauslegung mit dem Hammer auf das Dinsosaurier Ei eingeschlagen wurde (keine Sorge, es blieb heil, Hammer hilft nicht), versucht man es bei der Berichterstattung mit der Säge.
Und wenn einer der Hauptverantwortlichen (am beliebtesten hierbei die Trainer) über die Berichterstattung schimpft, dann schlägt ihm die geballte Kraft der Medien entgegen: Erstens mit dem Argument, ja ja, klar, die Medien sind wieder mal an allem schuld und zweitens wird ihm gleich mal Dünnhäutigkeit unterstellt und er versuche, von den tatsächlichen Problemen abzulenken.
Nun, ich kann ja glücklicherweise als halbwegs neutral gelten und muss es einfach so deutlich ausdrücken: Die Berichterstattung ist katastrophal. Und selbst das ist noch geschmeichelt. Ich kann ja auch, wie vor Gericht üblich, „alles, was Sie sagen, kann gegen Sie verwendet werden“ selbiges mir hier nutzbar machen und mich eines beliebten Kommentatorenspruchs bedienen: Sie ist unterirdisch.
Mittlerweile habe ich auch Einschätzungen eines beinahe repräsentativen Bevölkerungsschnitts eingeholt. Das ging von meinen Fußballkameraden über den Schachverein bis hin zu Journalisten oder Hausfrauen, neutralen und Fans. Alle sagten das Gleiche und das macht mich wirklich stutzig: Sie fänden es grauenhaft, sie schalteten immer den Ton ab, man kann es nicht anhören. Dazu auch mal eine weitere, hoffentlich als neutral anerkannte, Stimme: Ich bekomme gelegentlich Anrufe von Premiere, die mir irgendwelche neune Abonnements oder Tarife anbieten wollen. Ich bin dann heilfroh, jemanden persönlich von dem Sender sprechen zu können. Ich frage dann in aller Regel, ob ich auch etwas über Ihr Sendeangebot sagen dürfte? Ich darf. Dann sage ich auch gerne, was mir wirklich am Herzen liegt. Nämlich die Unerträglichkeit der Berichterstattung. Die meist weiblichen Angestellten nicken dann erkennbar, wenn auch nur verbal, und sagen, dass sie das öfter hören würden. Ich frage dann zurück: „Gibt es denn sonst noch andere Beschwerden?“ und bekomme zu hören: „Nein, eigentlich alle richten sich gegen die Berichterstattung.“
Und das nenne ich mal repräsentativ. Wenn ich es erwähnen dürfte: Es ist den Premiere Programmverantwortlichen also offensichtlich gleichgültig. Zuschauerwünsche scheinen keine Bedeutung zu haben. Oder gibt es nicht einen einzigen Kommentator, den man finden könnte, dem es gelänge, etwas Gutes über ein Spiel zu sagen?
Also, ganz ehrlich, und ich weiß, dass ich als Deutscher zum Volke der Meckerer gehöre und das eben letztendlich über alles gemeckert wird, auch ich grad jetzt und hier, aber irgendwo müsste doch mal jemand zu finden sein, der sagt, er höre das gerne, das war auf den Punkt richtig, mein Lieblingsreporter ist ... und dem kann man wirklich gut zu hören. Aber es kommt nicht, nicht ein einziges Mal. Ich weiß jetzt nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe meine Schlussfolgerungen gezogen: Es IST TATSÄCHLICH so schlimm. Ich bilde es mir nicht ein.
Bevor ich konkreter werde möchte ich zumindest einmal auf einen Umstand aufmerksam machen: Ich sehe fast täglich Spiele mit englischem Kommentar.
Und die sind einfach eine Wohltat. Oberstes Gebot für den Sprecher: Spannung erzeugen, Spannung erhalten. Mir scheint, die haben Journalismus studiert und unsere Borniertheit? Was macht einen denn zum Journalisten und was macht einen Journalisten aus, den Journalismus im Allgemeinen? Man möchte der Öffentlichkeit etwas verkaufen, möglichst vielen Leuten, eine Story anbieten, hier, diesen hier, meinen Bericht den müsst ihr hören und lesen, Ich hab die Story. Also man kann selbst langweilige Nachrichten gut verpacken.
Aber auch mein italienisch ist halbwegs ordentlich und ich sehe gelegentlich Spiele „con la voce italiana“, mit italienischem Ton. Aber selbst wenn ich diese nicht verstehen würde, würde mir zumindest auffallen, dass diese Sprecher gespannt sind, was passieren wird und darum bemüht, dem Zuschauer diese Spannung zu vermitteln. Aber dazu später mehr.
Jetzt wird es Zeit, konkret zu werden. Ich bringe ein paar Beispiele: 10 Flankenbälle kommen in den Strafraum. 10 Mal kommen die Verteidiger an den Ball (dazu auch: siehe oben), der Angriff ist abgewehrt. Reporterkommentar: „Stereotyp, immer die gleichen Bälle, dabei müssten sie doch wissen, dass bei den grossen Innenverteidigern... „. Die 11. Flanke kommt in den Strafraum, ein Stürmer kommt an den Ball und tatsächlich, ein Tor. Kommentar: „Katastrophaler Stellungsfehler... alle schauen zu... da steht er sträflich frei ... völlig unbehelligt kommt er da zum Kopfball ... selbst der Torwart trägt eine Mitschuld ... zögert beim Herauslaufen... den hatte gar keiner auf der Rechnung“ oder irgend ein ähnlicher Unsinn. Zunächst mal: Die Verteidiger sind meist in der Überzahl. Kein Wunder, dass sie häufiger an den Ball kommen. Die Innenverteidiger werden sehr häufig nach körperlicher Robustheit ausgesucht, ein Stürmer eher nach Vielseitigkeit oder Beweglichkeit, Technik oder Torriecher. Wen wunderts, dass der Verteidiger auch da überwiegend siegreich bleibt? Drittens hat der Verteidiger jede beliebige Richtung zum Klären zur Verfügung. Der Stürmer nur eine einzige: Die Richtung Tor. Also es nützt ihm nichts, ein Kopfballduell zu gewinnen was gelegentlich gelingt, wonach es dann heißt, „er bekommt keinen Druck hinter den Ball“, er muss den Ball aufs Tor bekommen UND den Torwart noch überwinden.
Es ist aber übrigens prinzipiell nicht leicht, eine Aktion zu finden, die dem gestrengen Berichterstatter zusagt. Ein gelungenes Dribbling wird automatisch kommentiert mit: „Das geht aber viel zu einfach“, ein misslungenes mit „er rennt sich immer wieder fest“. Sollte jemand den Torabschluss suchen, erfolglos, dann heißt es „da hat er den besser postierten ... übersehen“, „Verzweiflung“ oder „zu egoistisch“. Am einfachsten sagt man als Reporter nach einem Angriff, der nicht zum Torerfolg führt „da hätte er aber ...“. Im laufenden Angriff erklärt man auch immer am besten gleich mit „jetzt wäre mal Platz“ um gleich hinterher zu sagen „da muss er früher spielen“ oder „das muss schneller gehen“, denn man muss ja nicht gleich befürchten, dass der Angriff zum Tor führt. Man kann sich damit auch gratis als absoluten Experten auszeichnen. Denn: Der Angriff wird mit größter Wahrscheinlichkeit kein Tor werden, das geschieht nämlich äußerst selten. Und wenn es dann, wie zu erwarten, kein Tor wird, bestätigt man seine vorher getätigten Aussagen „Es hätte schneller gehen müssen“ o.ä. Wenn es aber doch geschehen sollte, dass es ein Tor wird, dann redet man sich so wieder raus „eigentlich hatte er den richtigen Zeitpunkt zum Abspiel schon verpasst, aber der Ball kommt doch noch an“ oder, am einfachsten, hackt man dann auf den Verteidigern rum „zu weit weg von den Gegenspielern“, „das war ja eine Einladung, ... dankend angenommen“ oder so etwas.
Die Ursache ist die folgende, und dem ist aus Reportersicht dringend vorzubeugen. Ein Laie sagt vielleicht „Toll, toller Trick, schönes Tor“, der wahre Experte sagt „ja, eine Kette von Fehlern hat zu dem Gegentor geführt. Erst der leichtsinnige Ballverlust im Aufbauspiel, dann stehen sie zu weit weg von den Gegenspielern und der Torwart macht auch noch eine unglückliche Figur“. Und dann soll mal einer widersprechen. Es gibt übrigens Legenden, die einfach so entstehen. Eine davon ist diese: Tore fallen durch Fehler. Denn das hat Kaiser Franz mal gesagt. Jetzt ist es unumstößlich. Jeder zitiert das, ohne den Ursprung zu kennen und den Wahrheitsgehalt zu prüfen. Es ist aber totaler Unsinn, sorry, Herr Beckenbauer. Es gibt die Möglichkeit, ein Tor herauszuspielen, jaaa. Es gibt auch physiologische Unterschiede zwischen den Spielern. Es gibt schnellere und langsamere, es gibt größere und kleinere, wendige, bewegliche und weniger bewegliche. Dazu gibt es Robustheit oder auch Durchsetzungsvermögen. Dann gibt es Spielzüge, Spielerbewegungen, Passpräzision, Flankenpräzision und Torschusspräzision, alles individuell verschieden. Und dann gibt es da auch noch den Faktor Zufall, Glück oder Pech.
Der Kaiser hat leider auch noch einen weiteres verhängnisvollen Satz gesagt: „Lossts den Fußball, wie er ist“. Das hat dazu geführt, dass über Regeländerungen gar nicht mehr nachgedacht wird. Oder auch darüber, ob man den Fußball attraktiver gestalten kann. Das Kaiserwort gilt ewiglich, hier und immerdar.
Ich schildere mal eine Möglichkeit, wie man ein Tor herausspielen kann:
Der Ball führende Spieler (einer wird es schon sein, es kann ja zum Beispiel nach dem Anstoß sein, dann war es hoffentlich kein Fehler, wie er in Ballbesitz gekommen ist, Herr Reif? Mein Idol unter den Miesmachern übrigens, und scheinbar nicht nur meines) spielt einen Pass, auf den nächsten freien Mitspieler. Dieser spielt den Ball weiter zum nächsten, und dieser dann wieder zum nächsten, ein Duell Eins gegen Eins gewinnen, selbst das soll möglich sein, durch individuelle Befähigung, enge Ballführung, Trickreichtum. Eine Flanke, und zwar eine präzise, auf den 1.92 großen Angreifer, der das richtige Timing hat, der Kopfball, das Tor. Alles ohne Fehler. Präzise Anspiele, Mitspieler laufen in Position, im richtigen Augenblick, einer ist gar schneller als sein Gegenspieler und hat die entscheidenden Zentimeter Vorsprung. Ich bin ein Träumer, stimmts? Ein Tor ohne Fehler, pah!
Wer im Ballbesitz ist, hat doch die Möglichkeit, nach einem freien Mitspieler Ausschau zu halten, so lernt es jeder, schon in der Jugend. Stoppen, schauen, spielen. Noch besser: Schauen, nicht stoppen, trotzdem spielen, nennt man auch Direktpass, neudeutsch „No-look-pass“, der meister dieser Anspiele: Ronaldinho.
Sicher, je mehr Ballsicherheit, umso leichter fällt das vorher Schauen, oder auch, da lob ich den Kaiser mal ausdrücklich, er schaute durchgehend, wenn er den Ball am Fuß hatte, das war sein Markenzeichen: Der Kopf war oben, immer, stets und ständig. Der Ball war sowieso da.
Wenn man nach dem Überwinden des Gegenspielers oder durch ein präzises Anspiel möglicherweise eine Schussposition hat, seien es auch 25 Meter Torentfernung, dann hat man die Möglichkeit zu schießen. Und je nach eigenen Fähigkeiten und den Torwartfähigkeiten und den Zufälligkeiten (Platzbeschaffenheit? Regennasser Ball?) wird der Ball gelegentlich auch ins Tor gehen, alles ohne Fehler. Noch darüber hinaus sind es die Aktionen, die der Zuschauer sehen will. Ich will dann wenigstens mal auch die Begeisterung über die gelungene und noch dazu schöne Aktion hören, und nicht nur ein lapidares „das 1:0, aber jetzt mal zur Fehleranalyse“.
Es ist ein Spiel von Wahrscheinlichkeiten. Die Aktionen haben eine gewisse Wahrscheinlichkeit, im Torerfolg zu münden. Je höher die Fähigkeiten, individuell und teammässig, umso höher die Wahrscheinlichkeit. Aber selbst wenn eine Mannschaft 10 Mal im Spiel eine 20 %ige Torchance erspielt und die andere nur 5 Mal eine 10 %ige kann die unterlegene Mannschaft gewinnen. Und das war lediglich eine Folge von Zufälligkeiten.
Hier jetzt noch mal eine kurze Zusammenfassung, was ich erreichen will und wie ich es erreichen will:
Attraktivität des Spiels steigern durch mehr Tore. Mehr Tore durch Anwendung der bestehenden Regeln, Auslegung der Regeln zugunsten der angreifenden Mannschaft. Dazu psychologisches Umdenken aller, insbesondere der Schiedsrichter erforderlich: Wir wollen die Toraktion, wir wollen das Tor. Man muss bei der Entscheidung lediglich berücksichtigen, dass, wenn man sie unterbindet, man im Prinzip die Zuschauer vergrault, vertreibt. Wir wollen und brauchen Toraktionen und Tore. Mehr Tore garantieren auch Spannung (heute: was, es steht 0:2? Das Ding ist gelaufen, ich schalt aus oder geh nach Hause. Später: Was, es steht 0:2? Da kann noch alles passieren, spannend, ich schau mirs an). Und eine Berichterstattung, die dem besten was es an Fußball gibt, gerecht wird. Positiv. Stellen Sie das Positive heraus. Hierbei geht es auch nur um die Aufwertung des Fußballs. Denn die Fanschar mag zwar gewaltig groß sein, aber wer weiß, wie groß sie noch sein könnte. Warum versuchen, das Dinosaurierei zu zerstören anstatt es zu hegen und zu pflegen und wachsen zu lassen?
12) Die Interviews
Ein Interview heutzutage, und ich betone ausdrücklich hier in Deutschland, ist eine Zumutung. Deshalb stelle ich voran, wie es sein müsste und in England auch praktiziert wird: Der Frager hat die Ehre, einen wahren Experten am Mikrofon zu haben. Seine Aufgabe besteht darin, durch geschickte Fragen eine möglichst große Menge an Weisheiten und Wissenswertem aus dem Gesprächspartner herauszubekommen. Dazu darf und sollte er sich durchaus auch als Mann vom Fach erweisen, was er in seinem Fragegeschick auch zeigen kann. Aber eines muss doch feststehen und erkennbar bleiben: Er ist lediglich der Experte für Fragen, der Befragte ist der wahre Experte.
Ein Interview hier verdreht leider diese Ausgangslage. Der Frager weiß bereits alles. Er lässt aber den Befragten noch eine Weile im Dunkeln tappen, um anschließend den Zuschauer über dessen Motivation bei der Beantwortung seiner Fragen aufzuklären. Konkret sieht das so aus: „Warum hat Ihre Mannschaft heute verloren?“ Antwort: „Wir haben nicht so schlecht gespielt. Die Leistung war in Ordnung, das Ergebnis nicht.“ Nächste Frage: „Machen Sie es sich da nicht zu einfach?“ „Wenn wir weiter so spielen, dann werden irgendwann auch die Ergebnisse kommen. Wir haben unsere Chancen nicht genutzt. Sorgen müsste ich mir machen, wenn wir keine Chancen gehabt hätten.“ Nächste Frage: „Ist es denn nicht ein Qualitätsproblem, wenn so viele Chance vergeben werden?“. Der Mann ist gut, er hat die Tore mitgezählt und kennt noch eine Weisheit: Im Fußball zählen die Tore!
Im Folgenden nur ein paar Stichpunkte, über die ich später noch schreiben will:
Weitere negative highlights der Berichterstattung: „unterirdisch“, „kollektiver Tiefschlaf“, „Zuschauer klatschen zu Recht Beifall“, „der Trainer lobte seine Spieler zu Recht“, „glücklich aber verdient“, „da haben sie alle gepennt“, „sie geben freundlichen Geleitschutz“.
Alles, was die Berichterstatter können, ist die Tore zählen und die Tabelle lesen, dann ist jede dumme Frage gerechtfertigt. Mein Vorschlag wäre, dass ein Reporter ein Spiel kommentieren muss, ohne zu sehen, ob eine Aktion mit einem Tor oder nicht mit einem Tor abgeschlossen wurde. Dann kann er seine schlauen Erklärungen abgeben, wer gut war und wer schlecht, wer die katastrophalen Fehler gemacht hat und wer am Ende nach seiner Meinung „verdient gewonnen hat“.
Nehmen wir noch folgendes Beispiel, zur Veranschaulichung. Eine Mannschaft führt mit 1:0, die andere greift an. Natürlich ist nicht zu erwarten, dass der Angriff zu einem Tor führt, welcher ist das schon? Einer von 100? „Nee, so wird das nix“. Umgekehrt, die führende Mannschaft greift an, die gleiche Aktion. Diesmal aber der Sprecher: „Da brennt es schon wieder lichterloh.„ merken Sie etwas? Die Kommentierung richtet sich ausschließlich nach dem Spielstand.
13) Kommentierung: Zwei Reporter (Ausland)
Noch ein Vorschlag zur Verbesserung der Berichterstattung. Und in diesem Zusammenhang frage ich mal wieder ganz gerne, ob die deutschen Medien, Berichterstatter, Programmverantwortliche schon mal den Begriff „Über den Tellerrand schauen“ gehört haben? Das hat man in Deutschland doch nicht nötig! Wir haben schließlich die Welt erfunden. Und überhaupt: Wer war schon drei Mal Weltmeister und hätte es noch weitere 10 Mal verdient gehabt?
Also wenn ein Deutscher Sprecher spricht, ist es in etwa so, wie ich mir den Ton fall vorstelle, wenn Queen Mum Berlin besucht. Kein Mensch will das sehen. Ich hab auch noch nie zugeschaut bei so einem „Großereignis“. Aber den Tonfall kann ich mir gut vorstellen. So in etwa eben wie bei einem Fußballspiel. Er hat offensichtlich auch nicht die Absicht, Spannung zu erzeugen. Er selber hat ja eh schon alles zwischen Himmel und Erde gesehen. Gute Leistungen gibt es schon mal gar nicht für so Jemanden. Und wie sollte er Spannung empfinden, wenn diese kleine hilflosen, lächerlichen Persönchen da unten versuchen, einen Angriff aufzubauen und die anderen, die Gegenspieler, in ebenso hilflosen Versuchen sich bemühen, diesen Aufbau zu verhindern? Also gut, so ist es offensichtlich, wenn Gott mit einem spricht. Aber nach meiner Vorstellung war Gott doch immer gnädig bisher?
Nun kommt noch dazu Gottes Beurteilung einer Spielsituation. Es gibt ein Vergehen im Strafraum. Der Sprecher (Ja, Gott, ich gelobe Besserung): „Nie und nimmer Foulspiel.“ Das Spiel läuft weiter. Die Zeitlupenwiederholung, aus sechs verschiedenen Perspektiven, bestätigen meinen ersten Eindruck: „Klarer Elfmeter.“ Der Sprecher: „Da sehen Sie es, er hat ihn nicht berührt. Es war kein Elfer.“ sieht sich in seiner Einschätzung ebenso bestätigt (sicher, Gott, nur du kennst die Wahrheit). Aber ich, als bescheidener Erdenbürger würde trotzdem gerne einen Fürsprecher für meine Einschätzung finden. Warum postuliert der Mann (schon wieder Lästerung; Gott selber) sofort die Wahrheit und lässt mir gar keinen Spielraum für eigene Entscheidungsfindung? Ich schreie dann regelmäßig meinen Fernseher an. Ich formuliere Tausende von Leserbriefen. Ich kapituliere. Es ist nichts zu machen. Es war kein Elfmeter. Gott hat es gesehen, Gott hat zu mir gesprochen. Danke, oh Gott, du Allmächtiger, Allwissender.
Ich hatte übrigens mal bei e-bay eine Versteigerung von folgendem Highlight gefunden: „Ersteigern Sie einen Tag mit Marcel Reif. Begleiten Sie ihn ins Stadion, lauschen Sie ihm, beobachten Sie ihn bei der Arbeit.“ Ich habe 4000 Euro geboten und glaubte schon, dass ich Gewinner wäre. Aber als ich zum Ablauf der Zeit wieder raufblickte, hatte jemand 4001 Euro geboten, Ich war draußen. Aber Sie ahnen, wie ich den Tag genutzt hätte? Da hätte ich für den Augenblick jegliche Diplomatie über Bord geworfen.
Aber das wollte ich ja hier gar nicht erzählen. Hier ging es um das Vorbild Ausland: Bei allen englischen Spielen gibt es zwei Kommentatoren. Das hat folgenden Vorteil: Wenn einer offensichtlichen Unsinn redet, gibt es wenigstens eine Instanz, die dazu direkt Stellung nehmen kann. Führt übrigens, als Begleiterscheinung, dazu, dass einfach gar kein Unsinn mehr geredet wird. Man hat jemanden an der Seite, der einen beim Unsinn quaken direkt ertappt (ertappen würde), also unterlässt man es. In Italien ist es übrigens genau so.
Das hört sich, beispielsweise, dann so an: „For me, thats a penalty. What do you think, Gary?“ Oder: „He must have been offside. What is your opinion?“ „No, he may have been onside. Lets see the Replay.“
Wie hoch ist ein deutscher Tellerrand? Die Deutschen haben jedenfalls den Joker gezogen zum Dämlichquatschen. Und die Geringschätzung der Deutschen im Ausland kann ich ohne weiteres nachvollziehen. Deutsche Großkotzigkeit legt das einfach als „Neid“ aus.
Übrigens gibt es noch einen Grund, warum die Reporter stets und ständig, durchgehend negativ über ein Spiel reden: Da man über Fußball spricht, ist jedem bewusst, dass man so viel Schlechtes sagen kann, wie man will. Das Ei ist nicht kaputt zu kriegen. Wenn ich mir einen jungen Nachwuchsreporter vorstelle, der die Gelegenheit bekommt, bei seinem ersten öffentlichen Auftritt beispielsweise eine Schwimmveranstaltung oder ein Volleyball Spiel zu kommentieren, dann würde er garantiert nicht anfangen damit, dass Spiel, die Leistungen der Teilnehmer, irgendwie madig zu machen. Er würde sicherlich, seiner Journalistenehre folgend, versuchen, es so spannend wie möglich und noch dazu als Leistungen auf dem höchsten Niveau darzustellen. Das ist oberste Reporterpflicht. Beim Fußball kann man die schon mal vergessen, und das ganze für 90 Minuten. Der Fußball ist so groß und mächtig, einfach nicht klein zu kriegen. Wie ein Dinosaurier-Ei...
14) Die Spieler selber
Die Spieler sind natürlich, und ich hoffe, dass keiner persönlich beleidigt ist, zwar die Einzigen wirklich Aktiven, aber dennoch nur Marionetten. Sie agieren nur nach den Vorgaben sämtlicher anderer Beteiligter. Die Manager entscheiden, wer ge- und wer verkauft wird. Die Trainer stellen auf und geben die Positionen vor. Die Medien wählen die zu übertragenden Spiele nach Wertigkeit und Attraktivität aus. Die Reporter „beurteilen“ die Leistungen der Spieler, die Zuschauer pfeifen oder applaudieren, jubeln oder trauern. Und sie entscheiden auch, welcher Trainer gehen muss und welcher Manager bleiben darf, welcher Spieler zum Publikumsliebling gewählt wird, und welcher „reiner Söldner“ ist. Und am Ende wählen sie auch noch die Mannschaft, den Trainer, den Manager und den Spieler der Saison.
Die Spieler dürfen gerade mal gegen den Ball treten und ihn im Tor versenken oder die Chance versieben. Den Gegner mit fairen oder mit unfairen Mitteln von seinem Vorhaben abbringen. Sie sind die Hauptdarsteller. Aber dennoch die mit dem geringsten Einfluss.
Trotzdem kann man auch diese Rolle „interpretieren“. Wenn die Medien mal wieder vorgeben, was der Trainer aber auch nur unter deren Druck geäußert hat, dass „heute ein Sieg her muss, egal wie.“ dann sind die Spieler zur Umsetzung aufgefordert, beinahe verdonnert. Dennoch hätten sie aus meiner Sicht das Recht, die Regeln der Fairness einzuhalten. Bedauerlicherweise geschieht auch das in zunehmenden Maße weniger. Für Fair-Play ist einfach kein Platz mehr. Erinnern Sie sich bitte an die Szene mit Alpay und Vlaovic bei der EM 1996, Türkei-Kroatien. Alpay war in dem Sinne „fair“, dass er nicht die Notbremse gezogen hat. Wenn das schon als Fair-Play durchgeht?
Ich verlagere meine Vorwürfe selbstverständlich zurück auf die Medien. Sie hätten die Chance, auch einen Verlierer zu loben, wenn die Leistung stimmte. Sie haben die Möglichkeit, den Beteiligten für ein tolles Spiel zu danken, für eine tolle Saison (Stepanovic nach dem tragischen Titelverlust der Frankfurter Eintracht 1992: Er hatte zunächst den Reporter, der gleich mit einer so üblen Frage auf ihn losging, zunächst noch geantwortet: Ich erwarte erst mal Glückwünsche zu einer tollen Saison. Bevor er später den legendären Satz sprach: „Läbbe geht weiter.“) Sie können auch, anstatt vorzugeben: „Der Sieg muss her, egal wie.“ vorgeben „Dabei sein ist alles. Wir freuen uns auf ein tolles Spiel heute Abend. Und wenn es noch dazu zu unseren Gunsten ausgeht...“ -
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